In der derzeit scheinbar wenig unternehmungslustigen Welt der Wirtschaft gibt es einen Satz, der wie ein heiliges Mantra immer wieder auftaucht: «Wir müssen den Blick auf die Zukunft richten». Dieses an sich inspirierende Motto verleiht Unternehmern, die es verkünden, eine fast mystische Aura. Sind sie doch diejenigen, die die Macht haben, die Karten neu zu mischen, während ihre Zeitgenossen in alten, wenig erfolgversprechenden Mustern verharren. Nicht selten wird das Motto schliesslich zu einer gezielten Aufforderung. Zur Aufforderung nämlich, eine unbequeme, oftmals zu komplexe Vergangenheit einfach hinter sich zu lassen. Die Vergangenheit wird zu etwas, das man doch bitte als «nicht mehr relevant» ad acta legen solle, anstatt sich mit der Aufarbeitung des Geschehenen abmühen zu müssen.
Es gibt unzählige Managerinnen und Manager, Führungskräfte, Beratende oder Coaches, die diesen Satz gerne wie einen Motivationsjoker gebetsmühlenartig wiederholen. Das Unternehmen steckt in einer Krise? «Lassen Sie uns den Blick auf die Zukunft richten!». Eine Strategie hat versagt? «Was zählt, ist, wie es weitergeht.». Hat eine Entscheidung die Motivation der Teams verringert? «Lassen Sie uns optimistisch in die Zukunft blicken!». Kein Wort zur Vergangenheit, die zu einem lästigen, fast tabuisierten oder zumindest nutzlosen Thema geworden ist.

In Wahrheit hört sich diese Besessenheit von der Zukunft wie eine ziemlich bequeme Vermeidungsstrategie an. Eine elegante Methode, um Verantwortlichkeiten zu verwischen, unerfreuliche Bilanzen zu beseitigen, Fehler mit einer Politur aus erzwungener Begeisterung zu überdecken und das gesamte Prozedere von vorne zu beginnen. «Den Blick auf die Zukunft richten» wird zu einem Leitsatz, der vor allem dazu dient, unangenehmen Fragen auszuweichen. Manche schrecken nicht einmal davor zurück, am Ende gar die Bilanzen zu beschönigen.
Doch ein Unternehmen, das sich dagegen sträubt, seine Vergangenheit ehrlich zu durchleuchten, handelt nicht mit Weitsicht, sondern bedient sich eines Mittels, das man als organisierte Amnesie bezeichnen könnte. Dieser erzwungene Gedächtnisverlust hat nichts mit Flexibilität zu tun, sondern ist schlicht und einfach eine Vermeidungstaktik. Ein solches Vorgehen hat auch nichts mit Impuls zu tun, sondern erinnert an strategisch eingesetzte Vergesslichkeit. Doch wer klug ist, betrachtet die Vergangenheit nicht als eine Last, sondern als Wegweiser und Spiegel. Die Vergangenheit hinter einem Schleier des Vergessens zu verstecken, ist kein kluger Schachzug, der für eine glänzende Zukunft sorgt. Es handelt sich vielmehr um ein Vorgehen, das alle blind macht und die involvierten Personen ihrer gemeinsamen Geschichte beraubt.
Und seien wir ehrlich: Die Aufforderung, auf Biegen und Brechen positiv zu denken, sich nach vorne zu orientieren und unangenehme Themen totzuschweigen, fällt letztlich wie ein Bumerang auf uns zurück. Als ob das kritische Hinterfragen und Verstehen von Sachverhalten ein Zeichen von Schwäche oder mangelndem Unternehmergeist wäre! Sich mit etwas auseinandersetzen ist beileibe kein Luxus der Untätigen in einer geschäftigen Welt.
Deshalb gilt: In die Zukunft blicken? Ja. Aber nicht, indem man blindlings vorwärtsstürmt. Fortschritt entsteht nicht durch Vergessen. Er beginnt mit einer klaren Analyse dessen, was war, und manchmal auch dessen, was versäumt wurde. «Wissen, woher wir kommen, um zu wissen, wohin wir gehen» bedeutet also, sich auf eine Darstellung der Vergangenheit zu einigen, um gemeinsam mit Klarheit in die Zukunft zu blicken.