Steht auch die Schweiz vor einer riesigen Kündigungswelle?

Laut Zahlen des US-Arbeitsministeriums haben 2021 mehr als 48 Millionen Amerikanerinnen und Amerikaner ihre Arbeitsstelle freiwillig aufgegeben. Diese Massenkündigungen von rund einem Drittel der Erwerbsbevölkerung sind ein völlig neues Phänomen, das durch Covid-19 angekurbelt wurde und als «Great Resignation» bezeichnet wird.

Nach ihrer Kündigung kehrten die meisten dieser Erwerbstätigen dem Arbeitsmarkt keineswegs den Rücken. Expertinnen und Experten betonen, dass aufgrund des robusten Arbeitsmarkts und des kräftigen Wirtschaftswachstums nach dem pandemiebedingten Stillstand vielfältige berufliche Chancen und steigende Löhne winken. Mehr als die Hälfte der Arbeitnehmenden (56 %) nennt denn auch den Lohn als wichtigsten Kündigungsgrund. Andere orientieren sich auf der Suche nach einer sinnerfüllteren Tätigkeit vollkommen neu.

Wir selber stellen bei unseren Unternehmenskunden keine Kündigungswelle fest. In der Schweiz scheint ein solcher Massentrend 2022 unwahrscheinlich, vor allem in diesem Ausmass. Bei einer Erwerbsbevölkerung von etwa 5 Millionen Personen würde dies analog bedeuten, dass rund 1,5 Millionen Arbeitnehmende die Stelle wechseln. Eine mögliche Erklärung für das Fehlen einer Kündigungswelle besteht darin, dass im Ausland beobachtete Trends in der Schweiz häufig erst mit Verzögerung auftreten. Die Schweiz ist ein eher konservatives Land, das stets nach Konsens und Ausgleich strebt und oft langsamer reagiert (z. B.: Wirtschaftssanktionen gegen Russland).

Wir sind jedoch noch aus zwei weiteren Gründen davon überzeugt, dass es in der Schweiz keine «Great Resignation» geben wird: Erstens profitieren die Arbeitnehmenden bereits heute von guten Bedingungen, was die Work-Life-Balance und die Löhne betrifft. Das Pro-Kopf-BIP gehört zu den höchsten weltweit. Ausserdem war die Gesundheitskrise in den letzten zwei Jahren weniger einschneidend als in anderen Ländern (keine strengen Lockdowns, beschränkte wirtschaftliche Auswirkungen, moderate Inflation von 2,5% usw.).

Geändert hat sich jedoch das Kräfteverhältnis zwischen Unternehmen und Stellensuchenden. Ein Artikel in der Westschweizer Tageszeitung «Le Temps» vom 5. Mai hatte den provozierenden Titel: «Die Zeiten der unfreundlichen Personalvermittlungen sind vorbei».

In Deutschland bietet die Deutsche Familienversicherung für gewisse offene Stellen einen Bonus von 500 Euro für ein Vorstellungsgespräch, weitere 1000 Euro bei der Einladung zu einem zweiten Gespräch und nochmals 5000 Euro nach Abschluss der sechsmonatigen Probezeit.

Auch für unsere Unternehmenskunden ist es noch schwieriger geworden, einen Zugang zu den Personen zu finden, die wir als Top 10 % der Talente bezeichnen. Das kräftige Wirtschaftswachstum, die anziehenden Investitionen und vermehrte Neueinstellungen nach Personalstopps während der Pandemie lassen die Nachfrage nach neuen Mitarbeitenden vielerorts explodieren. Dabei wollen sich alle die besten Personalressourcen sichern.

Die Bewerberinnen und Bewerber können daher zwischen vielfältigen Angeboten wählen oder bei ihrem Arbeitgeber bleiben, der oft mit allen Mitteln versucht, sie zu halten. Dabei setzen die Unternehmen zum Beispiel immer häufiger auf Programme zur Mitarbeiterbindung mit flexiblen Arbeitszeiten, Lohnerhöhungen oder Weiterbildungen.

In gewissen Branchen ist der Trend der Massenkündigungen allerdings auch in der Schweiz sichtbar. Betroffen sind vor allem Berufe, in denen es während der Pandemie an Sinnhaftigkeit mangelte, die anstrengend oder belastend sind, in denen kein Homeoffice möglich ist und die Nacht- oder Wochenendarbeit mit sich bringen. Meistens denkt man dabei ans Pflegepersonal, doch auch der Detailhandel und das Gastgewerbe bekommen die Folgen der «Great Resignation» vermehrt zu spüren.

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