Viele von uns scheinen das Gefühl zu haben, dass 2023 so begonnen hat, wie 2022 zu Ende ging: (zu) schnell. Da stellt sich nach Cyrano de Bergerac die Frage: Wie soll ich’s halten künftig? (1)
Die Antwort besteht für die meisten wohl darin, noch mehr zu machen, weiter zu beschleunigen – in der verzweifelten Hoffnung, Zeit zu gewinnen, endlich Zeit zu haben. Wenn wir jeweils glauben, unsere To-do-List fast abgearbeitet und es gleich geschafft zu haben, tauchen bereits wieder neue Themen auf, die wir angehen müssen. Trotz all unserer Anstrengungen, Zeit zu sparen, läuft uns die Zeit unweigerlich immer wieder davon. Damit vergeben wir natürlich auch die Möglichkeit, den ersten Teil des Jahres zu geniessen. Während uns die modernen Technologien versprechen, Zeit für die wesentlichen Aufgaben zu schaffen, machen wir in unserem Umfeld (ganz zu schweigen von uns selbst…) nicht diese Erfahrung. Sollten wir nicht nach einem Tag, den wir am PC oder in Sitzungen verbracht haben, zufrieden die Summe der vollbrachten Aufgaben begutachten, wie ein Holzfäller, der am Abend zufrieden auf den aufgetürmten Holzhaufen blickt?
Die Zeit hat sich definitiv verdichtet. Während man vor 40 Jahren noch zehn Briefe an einem Tag verschickte, erledigen wir heute zehn E-Mails mit wenigen Klicks. Wir verschränken also nicht die Hände im Schoss… Warum scheint es uns dann, als hätten wir etwas auf diesem Weg verloren? Was verlieren wir, wenn wir Zeit sparen? Was fehlt uns aufgrund der Beschleunigung? Laut dem Soziologen Hartmut Rosa haben wir die Welt, indem wir sie verfügbar, sichtbar, zugänglich, kontrollierbar und nutzbar machen wollten, letztendlich für uns selbst unverfügbar gemacht. (2)
Wenn dem so ist, was können wir dagegen tun? Unsere Smartphones weglegen und offline gehen? Das ist wohl kaum realistisch. Doch selbst wenn es schwierig scheint, dieser von der Technologie erzwungenen Beschleunigung unserer Zeit zu entkommen, können wir vielleicht versuchen, die Verdichtung einzudämmen, indem wir ein altes, analoges, schnelles, effizientes… und kostenloses Werkzeug einsetzen: das NEIN. Lernen wir wieder, «Nein, danke!» zu sagen. Nein, danke! zu Kunden, die Ihre Leistungen nicht wirklich wollen. Nein, danke! zu Mitarbeitenden, die nicht mehr wirklich Lust haben, zu arbeiten. Nein, danke! zu Prioritäten, die nicht wirklich Prioritäten sind, oder die nicht unsere Prioritäten sind… «Nein, danke!» zu sagen, ist natürlich kein Selbstzweck. Das Ziel besteht nicht in einer sturen Ablehnung, sondern vielmehr darin, Zeit freizuschaufeln, damit wir JA sagen können! – Ja! zu langfristigen Projekten, die wirklich Wert schaffen. Ja! zu Beziehungen, die etwas bedeuten. Ja! dazu, der Ausbildung von Mitarbeitenden Zeit zu widmen, die sich engagieren wollen. Ja! für zwei Tage Auszeit, um (endlich) darüber nachdenken zu können, wie Sie langfristig Wert für Ihr Unternehmen schaffen können. Ja, Ja, Ja!
Damit wir also im Jahr 2023 voll und ganz Ja! zu dem sagen zu können, was uns wichtig ist: Sagen wir «Nein, danke!» wenn es nötig ist.
(1) Für alle, die eine Inspirationsquelle suchen, um mit Verve und Überzeugung «Nein, danke!» sagen zu können (und die 2 Minuten Zeit haben): Schauen Sie sich nochmals die «Non, merci!»-Tirade von Cyrano de Bergerac an, mit der er seinen Musketier-Freunden erklärt, weshalb er nicht persönlicher Dichter des Comte de Guiche werden will: https://www.youtube.com/watch?v=e_6VCPhDTIE.
(2) Für alle, die sich noch Zeit zum Lesen nehmen, bietet Hartmut Rosa wertvolle Gedanken zu diesem Thema in seinen Werken «Beschleunigung und Entfremdung» (2012) oder «Resonanz» (2020).