Ein gesundes ego: ein oxymoron?

Ein Bewusstsein für seinen Stärken und Schwächen zu haben, ist eine wichtige Charaktereigenschaft, die uns auszeichnet. Diese Fähigkeit ist ein Teil von einem gesunden Ego. Ein wohlwollender Blick auf uns selbst zu haben, hilft uns authentisch zu sein, in unserem Umfeld Vertrauen zu schaffen und in der Gesellschaft erfolgreich zu funktionieren – sei es in der Familie, in der Partnerschaft, im Freundeskreis und natürlich im Unternehmen. Auf diesen letzten Bereich möchten wir speziell eingehen.  

Einige Beobachtungen zu diesem Thema sind besonders spannend, wie zum Beispiel die manchmal destruktive Dynamik, die in einigen KMU zwischen dem CEO und dem Verwaltungsratspräsident entstehen kann. Das Zweiergespann aus VRP und Geschäftsführung sollte im besten Fall ein erfolgreiches Team sein. Der VRP ist der Vertreter des Verwaltungsrats und sorgt dafür, dass die vom Verwaltungsrat festgelegte Strategie planmäßig umgesetzt wird. Der CEO wiederum leitet die operativen Geschäfte, damit die vom Verwaltungsrat verabschiedeten Ziele erreicht werden. Der VRP ist auch der Sparringspartner des CEO, sein Coach, wenn man so will. Es gibt so viele Führungsmodelle wie es Organisationen gibt. Das Ziel ist jedoch klar: eine effektive Zusammenarbeit zum Wohle der Mitarbeiter, der Aktionäre und der Kunden, welche den Fortbestand, die Entwicklung und das Wachstum des Unternehmens sicherstellt. Die Rolle des VRP besteht darin, seine Führungsverantwortung auszuüben, indem er den CEO den nötigen Handlungsspielraum lässt, damit sich dieser in seiner Rolle entfalten und unter dem wohlwollenden Auge des VRP sich weiterentwickeln kann. Der CEO seinerseits hat die Pflicht, sich der gegebenen Autorität (ohne Autoritarismus) zu unterwerfen, die durch den Präsidenten des Verwaltungsrates repräsentiert wird. Mit anderen Worten, ein CEO ist wie eine Pflanze, die man hegen und pflegen muss, damit sie wächst[1].

Leider stellen wir allzu oft fest, dass das Ego des Einzelnen in gefährlicher Weise in den Alltag des Unternehmens eingreift. Mit anderen Worten: Jeder übt die ihm verliehene Macht aus und versucht, die Macht des anderen zu minimieren. Die Frage ist, warum das so ist? Wir sehen eine Reihe von Gründen:

  1. Wir leben in einer Welt, welche den Individualismus kultiviert und gleichzeitig vergisst, dass sie dabei die Teamarbeit untergräbt. Wir hören oft Aussagen wie „ich bin unabhängig, ich brauche niemanden“. Auf dieser großen Illusion, welche zu Beginn des Jahrhunderts entstanden ist, gründet eine hoch interessante soziologische Analyse – aber das ist Thema eines anderen Artikels.
  2. Die Bedeutung von Boni und anderen Vergütungen[2]: Die Überschätzung der eigenen Bedeutung führt dazu, dass man sich selbst davon überzeugt, dass der Erfolg des Unternehmens und, schlimmer noch, die finanzielle Vergütung (insbesondere Gewinnbeteiligungen und andere Boni) nur das Ergebnis der eigenen Intelligenz und Klugheit sind.
  3. In KMU ist es nicht ungewöhnlich, dass der Vorsitz des Verwaltungsrates vom ehemaligen CEO übernommen wird. Die Abgrenzung im Sinne einer sinnvollen Gewaltentrennung ist in solchen Konstellationen schwierig, da der neue VRP zu viel über das operative Geschäft weiß und sich gerne einmischt.
  4. Mangelnde Vielfalt in den Unternehmen: Indem wir unsere eigenen Ambitionen auf eine Person projizieren, die uns ähnlich ist, glauben wir zu verstehen, wie sie funktioniert. Das kann zu falschen Einschätzungen führen, indem wir zum Beispiel zu wissen glauben, wie sie zu führen ist. Dieser Artikel wurde übrigens ausschließlich in der männlichen Form verfasst, nicht aus dem oft angeführten Grund der besseren Lesbarkeit, sondern weil er die Realität in unseren Unternehmen widerspiegelt. Diversität, übrigens nicht nur in Bezug auf das Geschlecht, ist ein guter Weg, um gewisse Egoprobleme abzufedern.

Es gibt sicherlich noch andere Gründe und wir hören gerne Ihre Meinung dazu.

Ein wenig Demut tut uns allen gut. Sie macht uns bewusst, dass unser Platz in der Welt viel häufiger mit den Privilegien unserer Geburt als mit unseren außergewöhnlichen Fähigkeiten verbunden ist.


[1] Kleiner Wink mit dem Zaunpfahl an Prof. Bernard Schumacher, Lehr- und Forschungsrat am interdisziplinäres Institut für Ethik und Menschenrechte der Universität Freiburg.

[2] Eye-popping executive pay rewards luck, not managerial wizardry, John Plender, Financial Times, 21. April 2023

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