Wir sind wie viele Menschen, die zwischen dem Ende des Babybooms und der Wahl von Ronald Reagan zum Präsidenten der Vereinigten Staaten geboren wurden, mit dem Ideal des Amerikanischen Traums aufgewachsen: Wir sind überzeugt, dass mit Intelligenz, harter Arbeit, Engagement und Wille, alle die Chance haben, ein materiell erfolgreiches Leben zu führen. Obwohl der Begriff «Wachstum» in der heutigen Welt bestenfalls veraltet und schlimmstenfalls zerstörerisch anmuten kann, zweifeln wir kaum, dass jeder Mensch mit Kopf und Herz seinen beruflichen Traum verwirklichen kann: eine erfolgreiche Restaurantkette gründen, eine Erfindung patentieren oder einen Impfstoff entdecken. Der daraus resultierende Wohlstand ist immer der Spiegel des persönlichen Einsatzes.
Dieser Überzeugung diametral entgegengesetzt ist eine neue Form von Ehrgeiz in der Berufswelt, vor allem bei gewissen Führungskräften und anderen Fachpersonen: Die Ambition, einen Misserfolg in ein (kleines) Vermögen umzumünzen – mit einer Abgangsentschädigung im Zuge einer Restrukturierung.
Diese Situation kommt im KMU-Universum eher selten vor, ist bei multinationalen Unternehmen jedoch Alltag. Treiber für Umstrukturierungen sind der Druck des Aktionariats, wirtschaftliche Zwänge oder strategische Überlegungen.
Aus Angst vor Kritik, rechtlichen Schritten oder einem schlechten Ruf sind viele Grossunternehmen bereit, sich präventiv gegen Widerstand und Reputationsrisiken zu wappnen, indem sie grosszügig Abfindungen verteilen, obwohl dies in der Schweiz keineswegs gesetzlich vorgeschrieben ist.
Eigentlich ist es üblich, dass Personen, die mit Gerüchten oder Ankündigungen über einen Stellenabbau konfrontiert sind, sofort intensiv nach einem neuen Arbeitsplatz suchen. Wenn dies gelingt, besteht der nächste logische Schritt darin, mit der vertraglich vereinbarten Frist zu künden. Doch wie sieht es heute damit aus? Wir beobachten zum Teil genau das Gegenteil: Man beeilt sich… mit dem Zuwarten! Mit der glasklaren Absicht, eine möglichst hohe Abgangsentschädigung herauszuschlagen.
Es gibt eine ganze Reihe von Ratgebern über die Aushandlung von Abfindungen. Diese erklären die Berechnung (Einnahmen und Ausgaben) zur möglichst genauen Bestimmung der finanziellen Forderungen, enthalten Listen mit auszuhandelnden Privilegien, informieren über branchen- und funktionsübliche Leistungen und relevante Gerichtsurteile. Die Beziehung zwischen Unternehmen und Mitarbeitenden entbehrt auf beiden Seiten jeglicher Loyalität: es regiert business only. Die Mitarbeiterin oder der Mitarbeiter versteht die Restrukturierung als Goldgrube und Chance, sich einen monate- oder jahrelangen Sabbatical zu gönnen. Der Arbeitgeber macht Tabula rasa.
Zum Glück gibt es auch Unternehmen mit einer Politik, die sich um «Null Kündigungen» bemüht: Niemand wird aus wirtschaftlichen Gründen entlassen, d.h. aufgrund der Konjunktur und des Geschäftsgangs. Ausgenommen sind Entlassungen infolge ungenügender Leistungen oder anderer Verstösse gegen den Arbeitsvertrag. «Null Kündigungen» bedeutet somit, dass ein Unternehmen alles daran setzt, Entlassungen während einer Rezession zu vermeiden. Stattdessen nutzt es Mechanismen wie Lohn- und Spesenkürzungen, die natürliche Fluktuation (kein Ersatz von Abgängen), Funktionswechsel, Umschulungen oder Kurzarbeit.
Unternehmen mit einer solchen Politik stehen häufig zuoberst auf der Liste der beliebtesten Arbeitgeber. Sie schaffen damit einen Geist der Partnerschaft zwischen Mitarbeitenden und Management, der von ehrlichen, dauerhaften Werten getragen wird.